Am 01.08.2025 beginnt das neue Ausbildungsjahr
- reufzaat
- 27. Juli
- 7 Min. Lesezeit
Für viele junge Menschen bedeutet dies den Einstieg in einen neuen spannenden Lebensabschnitt – ihr Berufsleben.
Aber was, wenn es nicht geklappt hat? Wenn das eigene Kind antriebslos zu Hause abhängt, scheinbar nicht weiß, was es will und die Eltern an den Rande eines Nervenzusammenbruchs treibt?
Kommt Ihnen bekannt vor? Vor einigen Wochen hatte ich die Gelegenheit an einer Veranstaltung „Orientierungslosigkeit bei Berufswählern“ der Psychologie Heute teilzunehmen. Hier wurde genau dieses Phänomen exakt beleuchtet und von Experten fachlich eingeordnet.
Zunächst einmal möchte ich allen Eltern ihre Sorgen ein wenig nehmen, denn Ihr Kind ist nicht unnormal, sondern höchstens überfordert, und in den allermeisten Fällen ist die Sorge vollkommen unbegründet.
Wie kann ich als junger Mensch eigentlich herausfinden, was die richtige Ausbildung für mich ist, der passende Studiengang? Wie kann ich mir sicher sein, was ich für die kommenden, sagen wir mal, 40-50 Jahre mit einem Großteil meiner Lebenszeit machen möchte? Das ist eine weitreichende Entscheidung und daher tun wir gut daran, nichts zu überstürzen.
Soll es ein Studiengang sein oder doch liebe eine duale Ausbildung? Alleine von letzteren zählen wir in Deutschland sage und schreibe 327 anerkannte Ausbildungsberufe in 2025. Studiengänge sind es in Deutschland weit über 20.000, Zahl stetig steigend. Wer soll da schon den Überblick behalten?
Wie können Sie als Eltern Ihr Kind dabei unterstützen? Bevor wir dazu kommen, möchte ich einige Aspekte zunächst einmal fachlich einordnen. Ihr Kind befindet sich mutmaßlich noch mitten in oder am Ende seiner Adoleszenz: die Adoleszenz, so auch erklärt von Dr. Frank Köhnlein, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie aus der Schweiz, ist die Phase der geistig-sittlichen Reifung vom Kind zum Erwachsenen, also seine soziale und kulturelle Entwicklung, die Entwicklung der kognitiven Prozesse, seine Sozialisation und die Zeit, in denen sich das zentrale Wertesystem formt. Sie ist nicht gleichzusetzen mit der Pubertät, die vor allem die biologischen Umbauprozesse im Körper beschreibt. Man kann also sagen, die Pubertät ist eine Teilphase der Adoleszenz. Was aber passiert nun während der Adoleszenz?
Eine ganze Menge! Stellen Sie sich das Gehirn Ihres Kindes in diesem Zeitraum wie eine riesige Baustelle vor. Als Kinder verfügten wir alle über ca. 100 Milliarden Nervenzellen, die organisiert werden wollen. Das ist die Phase der unendlichen Möglichkeiten und der Grund, warum ich damals heimlich von einer Karriere als Opernsängerin träumte. Kein Mensch aber kann dauerhaft in der Unendlichkeit bleiben. Deswegen werden in der Adoleszenz viele dieser Verbindungen wieder gekappt. Bis zu 30.000 pro Sekunde! Klingt erschreckend? Ja und nein, denn das Gehirn ökonomisiert sich und wird dadurch mit der Zeit schneller und effizienter.
Unglücklich für die Berufswahl, ist nun die zeitliche Abfolge, in der sich das Gehirn in der Adoleszenz umwandelt. Während das Belohnungs- oder Dopamin-System, das positive Emotionen verstärkt, sowie das limbische System mit seinen Mandelkernen frühzeitig umgebaut werden, hinkt das Frontalhirn dieser Entwicklung eine Weile hinterher. Den Frontallappen benötigen wir, um planen zu können, vorausschauend zu agieren, um Konzepte zu entwickeln und strategisch zu handeln. Das Frontalhirn filtert die unkontrollierten Impulse und sortiert sie in sinnvolles und weniger sinnvolles Handeln. Erst wenn es fertig ausgebildet ist, können wir die Konsequenzen unseres Handelns richtig einschätzen.
Es herrscht also Mandelkernalarm bei gleichzeitigem Frontallappendefizit. Schlecht für Ihre Nerven? Ja, aber sehen Sie es so: es besteht Hoffnung, denn vielleicht ist der Prozess Ihres Filii bzw. Ihrer Filiae einfach noch nicht abgeschlossen. Manche Jugendliche sind mit 19 so weit, andere brauchen bis 25. Das ist übrigens auch der Grund, warum im Jugendstrafrecht keine fixe Altersgrenze definiert ist, sondern in der Regel im Einzelfall entschieden wird, ob ein junger Erwachsener nach Jugendstrafrecht oder Erwachsenenstrafrecht behandelt wird.
Dumm nur, dass die Gesellschaft just die Berufswahl mitten in diese Entwicklungsphase gelegt hat. Ein Zeitpunkt, an dem dieser Prozess häufig noch nicht abgeschlossen sein kann. Jugendliche handeln also in der Adoleszenz impulsiv, belohnungsorientiert und auch heftige emotionale Reaktionen gehören zum Erwachsenwerden dazu. Die Einführung von G8 hat das Problem noch verschärft.
Zusammengefasst kann man festhalten, dass der typische Zeitpunkt des Schulabschlusses leider häufig eben nicht der ideale Zeitpunkt ist für grundlegende, lebensbestimmende Entscheidungen.
Das mag man beklagen, aber die Biologie können wir nicht austricksen. Vielleicht ist es also ganz gut, dass Ihr Kind noch keine Entscheidung getroffen hat, denn möglicherweise ist es dazu biologisch noch gar nicht alleine in der Lage.
Auch ich habe dieses Phänomen in meiner Arbeit als Arbeitsberaterin bei der Agentur für Arbeit häufig erlebt. Ich erkläre es Ihnen an der Geschichte von „Emre“* (Name redaktionell verändert). Ein junger Mann, Mitte 20, in den wir bereits mit unterschiedlichsten sinnvollen und weniger sinnvollen Fördermaßnahmen eine Menge Geld investiert hatten, bislang ohne nennenswerten Erfolg. Migrationshintergrund, ein netter Kerl, nicht dumm, aber ohne Plan und ohne Ziel. Eines Tages steht Emre in meinem Büro und bittet um eine Umschulung als Energieanlagenelektroniker. Meine erste gedankliche Reaktion „na, das soll ja was werden.“ Dann habe ich ihn gefragt, wie er mich überzeugen will, dass es dieses Mal anders laufen wird, als in den letzten Jahre. Während er noch überlegte, hatte auch ich Zeit gewonnen und plötzlich überkam mich ein Geistesblitz. „Sagen Sie, Emre, kann es sein, dass Sie Vater werden?“ Sein Gesicht fing an zu strahlen – „woher weißt Du, Frau Reufzaat?“. Ich brauchte keine 5 Minuten, um meine Entscheidung zu treffen, denn ich wusste genau, jetzt muss er Verantwortung übernehmen und braucht genau diese Chance. Was soll ich sagen, genauso ist es gekommen. Emre absolvierte seine 2jährige Umschulung ohne Fehlzeiten, bestand seine Prüfung und ging nahtlos in Beschäftigung über. Nicht eine Sekunde musste ich meine Entscheidung bereuen.
Zurück zu Ihrem Kind: wie nun rauskommen aus diesem Adoleszenz-Dilemma?
Nun, es ist ganz offensichtlich so, dass wir Erwachsenen den Jugendlichen in dieser Phase einen Teil unserer Ratio „leihen“ müssen, sie begleiten, sie unterstützen.
Sie als Eltern spielen dabei eine Hauptrolle.
Im Idealfall haben Sie eine gute Beziehung zu Ihrem Kind und es durch positives Feedback schon über viele Jahre in seinem Selbstwert bestärkt. Aber auch wenn in den letzten Jahren die Beziehungsebene etwas gebröckelt ist, seien sie versichert, Ihr Kind benötigt Ihr Wohlwollen immer noch dringend, auch wenn es Sie gelegentlich verbal etwas ganz anderes wissen lässt.
Was können Sie konkret tun?
Drei Dinge: Ruhe bewahren, Ruhe bewahren, Ruhe bewahren.
Mit Druck erreichen Sie wenig. Das Arbeitsleben ist lang, und am Ende wird es auf ein Jahr früher oder später nicht ankommen. Ein wenig Prokrastination können wir uns leisten.
Wenn Sie es können – bieten Sie Ihrem Kind Optionen, auch außerhalb des schulischen Kontextes Erfahrungen zu sammeln, die ihm positives Feedback ermöglichen. Manchmal liegt die größte Stärke in einem Feld, das für den schulischen Erfolg nicht relevant ist.
Sparen Sie sich Floskeln wie „Du sollst es mal gut oder besser haben!“, das Mantra, mit dem wir Boomer häufig aufgewachsen sind. Teilen Sie lieber echte Erfahrungen aus Ihrem Berufsleben. Aber auch „Mach, was du willst, Hauptsache du wirst glücklich“ ist schwierig. Sicherlich gut gemeint, aber ist es fair, die ganze Verantwortung für das eigene Lebensglück auf das Kind abzuwälzen? Denken Sie an den Frontallappen. Auch gerne genommen: „Du kannst alles schaffen, was Du Dir vornimmst.“ Chaka, chaka. Stimmt das wirklich? Und wenn das Kind scheitert, hat es dann sein Ziel nur nicht genug gewollt? Nicht jedes Kind ist Einstein und das ist auch gut so. Sie sehen, es gibt viele Fettnäpfchen, in die wir tappen können, auch wenn wir es gut meinen.
Verabschieden Sie sich von der Idee, wenn Sie alles richtig machen, können Sie Ihrem Kind Fehler ersparen. Wir alle machen Fehler, lernen daraus – das sollten wir auch der Jugend zugestehen, auch wenn’s gelegentlich hart ist, dabei zuzusehen. Nicht jede Hürde im Leben ist ein Eisberg, an dem wir zerschellen; meistens wachsen wir an den Hindernissen.
Wenn Sie das Gefühl haben, Sie kommen nicht weiter: Holen Sie sich selber Unterstützung! Mit oder ohne Ihr Kind, je nach Fallgestaltung.
Wo können Sie Unterstützung finden?
Es gibt eine große Anzahl von Anlaufstellen und regionalen Angeboten. Alle hier aufzuführen, übersteigt meine Möglichkeiten, trotzdem möchte ich die wichtigsten Akteure kurz nennen:

Berufsberatung der Agentur für Arbeit: Die Berufsberatung ist nach wie vor ein zentraler, kostenfreier Ansprechpartner und besser als ihr Image. Hier gibt es fundierte Informationen zu allen Ausbildungs- und Studienmöglichkeiten, individuelle Beratung und Zugang zu passenden Förderprogrammen. Entgeltfrei.
Potenzialanalyse im Rahmen von „Kein Abschluss ohne Anschluss“ (NRW):
Speziell in Nordrhein-Westfalen gibt es seit einigen Jahren das Programm „Kein Abschluss ohne Anschluss“, das Jugendliche bereits ab der Mittelstufe mit Praxistagen und Potenzialanalysen begleitet. Was daran besonders wertvoll ist: die Potenzialanalyse sucht nicht nach Fehlern, sondern hebt gezielt Stärken, Talente und Entwicklungs-chancen hervor. Im Auswertungsgespräch erhalten Jugendliche und Eltern ein konstruktives Feedback, das Mut macht. Wichtig zu wissen: KAoA ist ein NRW-Modell, aber ähnliche Initiativen und Potenzialanalysen gibt es auch in anderen Bundesländern, oft in anderer Form. Fragen Sie in Ihrer Schule, Stadt oder Kommune nach.
Systempartner Schule: Hat Ihr Kind einen Lehrer, eine Lehrerin, dem er oder sie besonders vertraut? Anders als ein Teil der öffentlichen Diskussion, bin ich kein Freund davon, das Thema „Berufswahl“ nun auch noch auf die Schulen abzuwälzen, denn dort gehört es meiner Meinung nach nicht hin. Schulen und Lehrer sind wichtige Netzwerkpartner im System, ihre Hinweise können Gold wert sein, denn sie begleiten die Jugendlichen viele Jahre während des Heranwachsens. Und wenn es eine Vertrauensbasis zu einzelnen Akteuren gibt, sollten Sie sie einbeziehen. Aber Lehrer sind Lehrer und keine Berufsberaterinnen und Berufsberater und das ist auch nicht ihre primäre Aufgabe.
Berufswahltests und Online-Tools: Es gibt eine Vielzahl an Berufswahltests im Netz. Diese können inspirierend sein, ersetzen aber keine individuelle Beratung. Ein Test ist immer nur der Anfang, nicht das Ende der Reise. Wichtig ist: Die Auswertung und Einordnung sollten Sie oder Ihr Kind immer gemeinsam mit einer erfahrenen Fachperson vornehmen, sonst drohen Missverständnisse.
Weitere Beratungsstellen: Auch Kammern (IHK, HWK), Hochschulen/Universitäten mit ihren Studienberatungsstellen sowie viele freie Träger bieten Beratung rund um Berufsorientierung, Bewerbungen und Studienwahl an. Hier lohnt sich ein Blick ins regionale Angebot.
Und wenn es schnell gehen muss: Gerade kurz vor dem Ausbildungsstart, kann eine schnelle, individuelle Intervention entscheidend sein. Für gestresste Eltern und ratlose Jugendliche biete ich kurzfristige Soforttermine an – ob als Elterncoaching oder gemeinsam mit Ihrem Kind. Manchmal reicht schon ein klärendes Gespräch und der professionelle Blick von außen, um wieder Bewegung in die Sache zu bringen.
Sie sehen - Sie müssen den Weg nicht allein gehen. Wichtig ist, dass Sie sich Unterstützung holen, bevor der Druck im Kessel zu groß wird und man nur noch die Scherben einsammeln kann.
Wenn Sie sich direkte Unterstützung wünschen oder einfach einen ersten Impuls brauchen: Schreiben Sie mir oder buchen Sie kurzfristig einen Gesprächstermin zur Sofort-Intervention. Gemeinsam finden wir heraus, welcher Weg für Sie und Ihr Kind der passende ist.


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